Die kann was. Farbe als Strategie.

Als ich letztens eine Freundin im Klinikum besucht habe, ist es mir wieder einmal extrem aufgefallen: Krankenhaus-Architektur ist alles, aber nicht heilsam. Kalte Farben in einer Welt, in der alle wissen, dass warme Temperaturen elementar sind, damit sich Menschen wohlfühlen. Spitze, kantige Formen in einer Welt, in der Menschen heilen sollen. Menschen, bei denen maximal der Schneidezahn und ein Knochenbruch spitz und kantig sind. Ansonsten sind wir rund. Alles an uns ist rund und weich. Unsere Fersen, unser Kopf, unser Bauch. Wir sind Lebewesen mit organischen Formen.

Und dann laufe ich durch die Gänge – in kaltem Licht, das für noch mehr Unwohlsein sorgt. Im Nachgang habe ich durch eine Ärztin erfahren, dass es Strategie ist, diese Architektur nicht in eine Komfortzone zu verwandeln: So haben die Patientinnen und Patienten gar keine Ambitionen länger bleiben zu wollen.

Humbug. Es ist empirisch erwiesen, dass bei einer bewussten Farbgestaltung, die zugunsten der menschlichen Natur konzipiert wurde, der Medikamentenkonsum innerhalb von zwei Jahren merklich um 30% reduziert werden konnte. Die Zufriedenheit des Personals ging hoch und die Fluktuation zurück.

Farben wirken. Und Ästhetik gehört ganz gezielt eingesetzt, damit sie für den Menschen, für die Natur und für das Gute sorgen kann.

Betrachten wir also Farbe als strategisches Werkzeug und schauen wir uns mal an, welche Kräfte mit gezielter Ästhetik möglich werden.


Farben und ihre Bedeutung

Farben brauchen keine Kognition, sie wirken immer direkt. Sie sind unmittelbar für unser Überleben wichtig. Wir alle reagieren intuitiv auf frischen Salat und freuen uns ihn zu essen. Dagegen würden wir braunen Salat niemals freiwillig auf unseren Teller legen, weil uns unser System sagt „stopp, falsche Farbe, ungesund“.

Farben haben damit die Funktion Verhalten zu steuern. 

Es gibt sieben biologisch, kulturelle Funktionen von Farbe: Orientierung, Gesundheit, Warnung, Tarnung, Werbung, Status und Identität. Die oben genannten pflanzlichen Farbstoffe, die das frische Grün erzeugen, sind also zum Beispiel für „Gesundheit“ relevant. Und so lassen sich je nach Kategorie Aussagen treffen, die immer wieder greifen.

Was heißt das für Unternehmen?

Interior Design und Büros: Über Farben lassen sich gezielt Atmosphären schaffen. Helle, lichtdurchflutete Räume sorgen für den Anstieg von Serotonin und Dopamin und steigern damit die Konzentration und Produktivität. Das ist die direkte Verbindung zum natürlichen Tageslicht. Wir Lebewesen wissen, dass wir, wenn es hell ist, agil werden sollen und dürfen. Wird es dagegen dunkel, stellt sich Müdigkeit ein. Man kann mit Farben, Formen und Texturen also ganz gezielt Räume schaffen, die gezielte Impulse senden. Lassen wir also Mitarbeitende in dunklen, kalten Räumen arbeiten, senkt sich zu erst die Produktivität, weil unser System sagt „Schlaf ist dran“ und wenn dann keine Ruhe einkehrt, entstehen Ängste und Unsicherheiten, denn „eigentlich wäre ja Schlaf dran“.

Studien der Helios Klinik in Wuppertal haben gezeigt, dass die Krankenquote sinkt, die Mitarbeitenden zufriedener sind und die Fluktuation nachlässt, wenn sich die Mitarbeitenden in den Unternehmensräumen wirklich wohlfühlen. Und das lässt sich durch gezielte Farbgestaltung bei der Inneneinrichtung und den bewussten Einsatz von Licht und – ich ergänze – Duft ermöglichen.

Wobei es bei der Gestaltung von Räumen nicht um Gefallen oder persönlichen Geschmack geht, sondern darum, natürliche Prinzipien zu übersetzen. Sanfte, wohlig warme Töne, um Wärme zu assoziieren. Dunklere Böden, um Sicherheit zu vermitteln. Grüne Akzente, weil die Sehnsucht nach frischen Pflanzen urmenschlich ist. Am Ende gilt auch hier: Man kann nicht nicht kommunizieren (Paul Watzlawik) und die Natur in uns ist stärker tonangebend, als uns bewusst ist. Intuitiv haben wir längst entschieden, ob wir uns in einem Raum wohlfühlen. Wir brauchen 1 Sekunde wenn wir einen Zimmer betreten, um uns wohl oder unwohl zu fühlen.

Farben schaffen Assoziationen und damit Atmosphären.

Schönheit und ihre Relevanz

Gehen wir in die Natur und nehmen zum Beispiel bunte Fische oder knallige Vögel, erkennen wir, dass es in der Evolution nicht nach dem Gesetz des Stärkeren geht, sondern nach dem Gesetz der Kreativität. Wenn Stärke für eine Spezies nicht möglich ist, entwickelt sie sich über andere Eigenheiten weiter. Dabei kann Schönheit eine Fortpflanzungsbedingung sein. Der schönste Pfau wird gewählt, der brillanteste Fisch wird gewählt. Spannend ist dabei, dass die Präferenz genetisch vererbt wird. Also haben die einen Weibchen andere Vorlieben als andere Weibchen. Sodass am Ende eine komplette Spezies sich findet. Diese Selektion sorgt für die Artenvielfalt, die wiederum ganze Ökosysteme ermöglicht.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Es geht nicht darum die größten oder schnellsten oder härtesten Unternehmen zu werden. Es geht darum seine eigene Attraktivitätsbedigungen zu identifizieren und diese raffiniert auszuführen. Im Rahmen von Positionierungsarbeit und Identitätsfindung wird dann offengelegt, worin das Unternehmen am besten ist und kann sich dann dementsprechend aufplustern. 

Ästhetik und ihre Funktion

Menschen sind sinnliche Wesen. Wenn wir unsere Sinne nicht hätten, wären wir nicht lebensfähig. Dabei sind unsere Sinne stark miteinander verknüpft. Erhalten unsere Sinne nicht ausreichend die Impulse, die unsere DNA vorgesehen hat, stellt sich Mangel ein und Depressionen, Ängste, verringerte Funktionalität etc. können sich entwickeln.

Wir müssen hören, sehen, fühlen, schmecken, riechen und tasten. Und sollte ein Sinn nicht funktionieren, findet unser System Kompensationswege. Unsere Sinne verweisen gegenseitig aufeinander: "Achtung Rote Erdbeere, die wird lecker. Das wirst Du schmecken. Fühlst Du die pralle saftige Frucht?"

Im Sinne dieser natürlichen Grundvorraussetzung, ist es für Unternehmen entscheidend, ob sie gegen oder für den Menschen agieren. Schaffen sie Räume, Produkte, Anreize und Impulse für oder gegen die Natur ihrer Mitarbeitenden, Kunden und Partner? Löst die Verpackung von Produkten die gewünschte Assoziation aus? Entsprechen die gewählten Farben, Formen, Schriften, Worte den natürlichen Bedürfnissen der Zielgruppe? 

Ästhetik ist elementar für Bedeutungstransfer und Verhaltenssteuerung. Oder würden Sie die schimmlig-grau, zerquetschte alte Erdbeere mit Genuss essen wollen?


Im Übrigen hat das Krankenhaus in München noch eins on top gesetzt: Dunkle, zerstörerische Kunst an den Wänden. Fast, als ob der innere Kampf der schwerkranken Patient:innen sichtbar werden soll. Pah. Das ist nicht gut. Ich wünsche diesen Orten viel mehr, dass sie sanfte, wohlwollende, heilsame Töne in ihre vier Wände holen. Organische Formen, die Mut machen, Zuversicht schenken und Geborgenheit erahnen lassen. Sonnenblumengelb. Kussmundrot. Gutelauneorange. Maigrün. In runden, properen Formen, die sich anschmiegen können wie ein guter Freund. Gute Besserung.

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Ästhetik. “Gefällt mir” heißt noch gar nichts.

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Reisen. Warum sich auf dem Weg machen immer eine gute Idee ist.